Friedrich List an Justinus Kerner
 
 
Feste Hohenasperg, Höllenberg, den 7. November 1824
Freund Schmerzenreich!

Wenn ich Euch schon drei Jahre lang nicht geschrieben, so habe ich Euch doch während dieser Zeit im Herzen getragen. Ich weiß, Ihr seufzt mehr als einer in Deutschland über die Miserabilität Eurer Mitmenschen und Landsleute und beugt Euer Haupt nimmermehr vor dem Baal. Ich kann Euch versichern, daß ich mich schon hundertmal zu Euch hingewünscht habe, nur um auch wieder einmal recht gemütlich mit Euch zu lästern und zu lachen, zu träumen und zu weinen. Mir ist's indes wunderlich ergangen, doch eines oder auch zwei habe ich behalten und wieder mitgebracht, das ist mein guter Mut und ein so gutes Gewissen, daß mir oft vorkommt, wenn ich auf dem Wall spazierengehe, es sei doch besser, ich sei hier oben als dort unten bei den Treibersknechten. Daß ich wieder heimgekommen, mag Euch seltsam scheinen, ist's aber nicht, denn wißt, ich habe meine guten Gründe.

Im Vertrauen will ich sie Euch sagen, aber ich bitte Euch, es für Euch zu behalten. Ich bin nämlich gekommen, meinen Pack zu machen und übers Meer zu ziehen und mich um den ganzen europäischen Plunder, Euren alt- und neuwürttembergischen Quark mitinbegriffen, nicht weiter zu kümmern. Dazu werde ich hauptsächlich durch die Rücksicht auf meine Kinder bestimmt, die ich  nicht dem Moloch erziehen und von Eurer Schreiberzunft zu Tod regieren lassen will. Das ist fest beschlossen und wird ausgeführt, sobald die Schwalben ziehen. Ihr habt inzwischen, höre ich, ein niedliches Haus gebaut in einem lieblichen Gärtlein. Ist auch mein Wunsch, nur soll mein Häuslein nicht auf europäischem Grund und Boden stehen, sondern in der freien Luft einer Republik, wo man die Leute nicht bei den Haaren herumzieht und einsperrt, wenn sie Vernunft reden. Ihr geht nicht mit, das weiß ich wohl, aber vielleicht schickt Ihr mir einmal Euern Buben, der soll mir willkommen sein.
 
 





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